Unsere ehemalige Lernende auf grosser Reise
Mein Name ist Jasmin (20), und ich bin Klavierbauerin EFZ. Heute möchte ich euch von einer einzigartigen Reise erzählen, die mich diesen Frühling nach Japan geführt hat – genauer gesagt nach Hamamatsu, wo ich an einem Masterkurs der Kawai Academy teilnehmen durfte. Aber zunächst ein kurzer Blick zurück: Meine vierjährige Lehre habe ich bei Piano Sigrist in Hinwil absolviert und im Sommer 2023 erfolgreich abgeschlossen. Da es in der Schweiz wenige Auszubildende gibt, existiert nur eine Berufsschule, die wir mit anderen Lernenden aus dem Orgelbau und Blasinstrumentenbau teilen. Obwohl ich dort Leute aus der ganzen Schweiz kennen lernte, zog es mich immer ins Ausland.
Daher reiste ich im März nach Japan und nahm am vierwöchigen Masterkurs der Kawai Academy teil. Die Academy ist ein Ausbildungsort für angehende Klavierbauer:innen Japans und steht in derStadt Hamamatsu (Präfektur Shizuoka) zentral in Bahnhofsnähe. Kawais Konkurrenz Yamaha hat ebenfalls eine Academy und Fabrik, in der Präfektur Shizuoka und ihr Hauptsitz liegt in Hamamatsu. Japaner:innen entscheiden sich daher früh für eine der beiden Firmen und können danach nicht mehr wechseln. Für mich war klar, dass ich zu Kawai gehe, weil Piano Sigrist eng mit Kawai arbeitet und ich viele ihrer Instrumente kenne. In Hamamatsu angekommen, lernte ich meine Betreuungsperson, Higa-san, kennen. Sie war für mich zuständig, falls ich etwas brauchte. Higa-san zeigte mir mein Apartment – mein erstes eigenes Zuhause!
Neben mir nahmen noch zwei andere Klavierbauer teil – Jerred aus Australien und Kari aus Finnland. Unser Altersunterschied betrug jeweils 18 Jahre – ich war die jüngste. Der Kurs startete täglich um 8 Uhr morgens und dauerte bis 17 Uhr, mit zwei Kaffee – und einer Mittags-Pausen dazwischen. Es ging vertieft ums Flügel stimmen, regulieren und Kawais effiziente Arbeitsmethoden. Vor allem letzteres war sehr interessant für mich. Der Unterricht fand in Stimmkabinen statt, wo wir alle einen Flügel bearbeiteten. Unserer Lehrer, Otake-san, gab uns begleitend zum Kurs eine Zusammenfassung in Form eines Hefts in der alle Arbeitsschritte erklärt werden.
Am ersten Tag stimmten wir den Flügel. Um die Stimmung genau zu kontrollieren, verfügt Kawai über ein Computerprogramm mit dessen Hilfe die Stimmung visualisiert und als Grafik ausgedruckt werden kann. Dafür wird jeder Ton angespielt und mit einem speziellen Gerät aufgenommen. Dann werden die Daten vom Computerprogramm ausgewertet und auf ein A-4 Blatt ausgedruckt. Ausgedruckt ist jeder Ton als senkrechter dünner Balken abgebildet. Waagrecht ziehen sich eine schwarze und rote Linie übers Blatt. Die graue steht für die Ideale Stimmung und die rote zeigt anwie ich gestimmt habe. Diese Art der Kontrolle zeigte mir direkt wo ich noch Verbesserungspotenzial hatte.
In den folgenden Tagen regulierten wir den Flügel. Bei jedem Regulierschritt zeigte uns Otake-san wie Kawai den Arbeitsschritt ausführt. Danach konnten wir entweder die Kawai-Methode üben oder mit unserer eigenen Methode arbeiten. Wichtig war am Ende nur, dass der Arbeitsschritt korrekt und schnell ausgeführt wurde. Ich lernte nicht nur von meinem Lehrer sondern auch von den anderen beiden Teilnehmern, da beide mehr Arbeitserfahrung als ich haben. Nach dem der Flügel zum ersten Mal reguliert war, wechselten wir die Dämpfung und intonierten das Instrument.
In Hamamatsu stehten die beiden Klavierbau-Werkzeug-Läden Itoshin und Watanabe. Daher kaufte ich eingie neue Werkzeuge, die ich durch den Kurs kennen gelernt habe. Ausserdem bekamen wir eine Führung durch die Kawai Musical Instruments Manufacturing Co., Ltd Ryuyo Factory. Wir wurden sehr herzlich willkommen geheissen und erhielten im Anschluss an die Führung eine Schulung über Kawais Hybrid Pianos der Linie Aures und Anytime X.
Auch ausserhalb der Arbeitszeiten unternahm ich viel mit Jerred und Kari. Wir besuchten einen Tempel, das Schloss von Hamamatsu und gingen fast jeden Abend miteinander Essen. Für mich war es sehr interessant und wertvoll, mit Leuten aus dem gleichen Berufsfeld zu reden, die doch so andere Erfahrungen gemacht haben. Die Reise nach Japan und der Masterkurs bei der Kawai Academy waren für mich eine einzigartige Erfahrung. Ich konnte mein handwerkliches Können vertiefen, neue Arbeitsmethoden erlernen und wertvolle internationale Kontakte knüpfen. Besonders beeindruckt hat mich die Präzision und Hingabe im japanischen Klavierbau, die ich gerne in meiner eigenen Arbeit weiterführen möchte.
Diese Erfahrung hat mir beruflich und persönlich neue Perspektiven eröffnet, und ich freue mich darauf, das Gelernte in meiner weiteren Laufbahn anzuwenden.
Jasmin Tan, Juli 2024
