Steckbrief

Selina – Feinmotorik, Länderfrage & Meditation

Selina, wer hat dich überredet, nach Hinwil aufs Land zu kommen?

Also ich glaube, überreden musste mich keiner wirklich (lacht). Laura und ich haben uns beide schon lange gewünscht, irgendwann nochmal zusammenzuarbeiten.

Wir haben die Lehre zusammen gemacht und der Traum war, noch einmal einen Alltag zusammen zu haben. Das ist jetzt für März bis Juni unsere Wirklichkeit. Nicole ist ja für 6 Monate in Kanada und es passt gut für mich, dass ich währenddessen aushelfe.

Von wo haben sie dich weggelockt?

Aus Stuttgart – da habe ich 5 Jahre mit Freude bei Piano Fischer gearbeitet. Jetzt bin ich mit meinem Partner in einer Übergangsphase, dass wir überlegen, in welchem Land und Ort wir die nächsten Jahre verbringen wollen.

Solche Phasen des Umschwungs kennt wahrscheinlich jeder – umso schöner, dass ich hier zu Piano Sigrist gehen konnte, wo ich schon das ganze Team kannte. Es fühlt sich ein bisschen wie ein sicherer Hafen an. Ich habe Laura und Roy ja kennengelernt, da waren wir alle 17 – 20 Jahre alt. Laura war im 1. Lehrjahr, ich im 2. und Roy im 4. Lehrjahr. Roy war damals mein Oberstift und ich Lauras.

Roy als Oberstift – war er streng?

Ach, Roy war der „coole Oberstift“, den sich alle wünschten. In der Berufsschule waren die Leute immer ein bisschen neidisch auf mich deswegen. Zwischen mir und Laura hat sich sofort eine Freundschaft entwickelt. Ich war aber nicht so lieb wie Roy und habe sie manchmal fies geneckt. Ja, wir hatten es schon sehr, sehr lustig.

Roy war damals schon handwerklich sehr geschickt – jetzt kommt noch eine gute Portion Selbstbewusstsein dazu. Nun ist er, wenn die Familie Sigrist gerade nicht in der Werkstatt ist, der Ansprechpartner für uns.

Habt ihr irgendwelche Traditionen aus der Ausbildungszeit wieder aufgenommen?

Wir müssen uns jetzt erst mal wieder dran gewöhnen, dass wir zusammenarbeiten. Das ist irgendwie schon Glück an sich. Seither ist viel Zeit vergangen, und ich finde es so schön bei beiden, dass es so viel Platz dafür gibt, dass man sich verändert hat.

Ich glaube sogar, gerade im Gegenteil – man will jetzt nicht unbedingt alte Traditionen aufleben lassen, sondern wir geniessen es, jetzt wieder zusammen zu sein und lassen es geschehen.

Du hast durch die Freundschaft mit Laura von Anfang an das Entstehen der neuen Werkstatt mitbekommen?

Ja, ich durfte da so weit es ging echt Teil davon sein – angefangen mit den Räumplänen. Manchmal habe ich aus dem Nichts eine Sprachnachricht oder einen Anruf von Laura oder Josias bekommen, wenn sie mal wieder eine richtig coole neue Idee umsetzen wollten. Dann wurde gebrainstormt. Das hab ich schon genossen und jetzt können wir es vor Ort machen

Mit den beiden habe ich zwei super Ansprechpartner für – sagen wir mal – “komische Gedanken zum Klavierbau”, bei denen es schnell mal sehr spezifisch wird. Da scheuen sie beide nicht davor, die mit mir zu besprechen.

 

Das habe ich auch schon bei Piano Fischer die letzten Jahre sehr geschätzt: Der Klavierbauerberuf kann schon sehr herausfordernd sein, aber es ist einfach toll, wenn man so viel von anderen mitnehmen und lernen darf.

Wie würdest du denn einem Klavierbauerkollegen beschreiben, was Piano Sigrist so besonders macht?

Da gibt es einiges. Man merkt, dass die Werkstatt der absolute Schwerpunkt ist. Ich habe das Gefühl, Piano Sigrist hat einen Startup-Charakter im besten Sinne. Hier sprudeln die Ideen und es wird viel ausprobiert. Ich wüsste nicht, ob es etwas Vergleichbares gibt.

Vielleicht auch schon geprägt durch Beni, den Urvisionär. Das Sigrist-Team kommt echt auf die wildesten Ideen, aber es ist krass, was dann hier auch wirklich daraus entsteht.

Was an der Werkstattarbeit machst du am liebsten?

Die ganze Klangkörperbearbeitung liegt mir nicht besonders, aber alle feinmotorischen Arbeiten finde ich total spannend. Besonders wenn man super genau arbeiten muss – wir haben teilweise Werkzeuge, die sonst in der Chirurgie verwendet werden.

 

Viele Leute sagen: „Wie kannst du nur so viel Geduld haben?“ Es ist schon viel Präzision und Geduld und die musste ich auch erst lernen und das Auge trainieren.

 

Jetzt bist du also im Piano-Formel-1-Team gelandet, das chirurgisches Werkzeug nutzt, um seine Patienten zu behandeln?

Ja, wir haben verschiedene dünne, spitze Skalpelle und auch so eine Art Spiegel, wie ihn jeder vom Zahnarzt kennt. Mit diesem können wir uns versteckte Stellen anschauen, die man mit direktem Auge nicht einsehen kann.

Haben sie dir schon die Piano-Sigrist-Hammerköpfe in die Hand gedrückt?

Ja, die habe ich sogar schon ins Klavier meiner Mutter eingebaut. Das war letztes Jahr – da war ich hier für die Überholung von ihrem Klavier. Ich kann bestätigen, dass die super funktionieren.

Wie sieht jetzt eine typische Arbeitswoche für dich aus?

Ich habe gesagt, ich helfe einfach dort, wo es fehlt – das macht das Ganze natürlich super abwechslungsreich und das macht mir Spass. Neben der Werkstatt und dem Verkauf werde ich auch im Aussendienst unterstützen, vor allem für die Stimmungen in den Musikschulen während der Ferien.

 

Und wie sieht ein typischer Arbeitsweg jetzt für dich aus?

Die ersten Tage hatte ich einen richtigen Kulturschock in meinem eigenen Land, in meiner eigenen alten Heimat. Die letzten Jahre bin ich mit der U-Bahn zur Arbeit gefahren, vorbei an Bettlern & Betrunkenen und all den komischen Gerüchen der Stadt.

Nicht falsch verstehen, Stuttgart ist toll, ich liebe die Stadt, aber das ist so ein Kontrast – hier nun das Bergpanorama und Vogelgezwitscher auf dem Arbeitsweg. Dann stellt man den Motor aus und merkt, dass man die einzige Person war, die irgendwie Lärm gemacht hat. Ich will auch ständig im Arbeitskontext Hochdeutsch reden. Dann sagen sie hier: „Red halt normal.“

Du warst auch mal in der absoluten Grossstadt, in New York, bei Faust & Harrison – zur gleichen Zeit wie Josias?

Nein, ich war 1 oder 2 Jahre nach ihm dort. Aber von Josias wusste ich überhaupt, dass man das machen kann. Mein damaliger Chef hat das dann für mich organisiert, wofür ich auch sehr dankbar bin. Josias und ich sind letztendlich zeitversetzt bei derselben Klavierbauerkollegin in New York untergekommen.

Bei Faust & Harrison machen sie einiges komplett anders, als ich es aus der Schweiz und Deutschland gewohnt bin. Sie kommen auf einem ganz anderen Weg zum Ergebnis. Jetzt sehe ich einige Dinge hier in der Piano Sigrist Werkstatt wieder, die Josias aus den USA mitgenommen hat.

Spielst du denn selber Klavier?

Ab und an ja, aber mein Können hält sich in Grenzen. Dafür habe ich fast 20 Jahre lang Geige gespielt und war da auch auf gutem Niveau.

Meine Eltern sind Musiker und haben mich sicherlich beeinflusst. Meine Mutter ist Klarinetten- und Klavierlehrerin. Mein Vater ist Geiger bzw. Violinist, hat auch viel unterrichtet und war in einem Orchester.

 

Würdet ihr ein Piano Sigrist Orchester zusammenbekommen?

Ich denke schon, dass wir da was hinkriegen würden. Laura ist eine tolle Sängerin. Sie hat an meinem 30. Geburtstag gesungen, zusammen mit ihrer ganzen Familie als Überraschung. Das war wunderschön. Roy kann super gut singen, Josias kann gefühlt sowieso alles.

Welcher Flügel würde dann die Ehre bekommen, von eurem Orchester gespielt zu werden?

Vielleicht der Mahagoni-Flügel von Steinway & Sons, der gerade bei uns steht. Der ist mir sofort ins Auge gefallen mit seinem Honigbraun. Er ist ein Einzelstück, das man nach dem ersten Steinway überhaupt nachempfunden hat. Der heisst auch No. 1 und hat goldene Verzierungen. Wer daran spielt – darüber müssen wir dann nochmal intensiv diskutieren.

 

Was machst du nun als Ausgleich zum Arbeiten?

Ich werde mir auf jeden Fall weiterhin Zeit nehmen, gut zu kochen. Das muss man leider als Hobby deklarieren, weil es einfach aufwändig ist, wenn man sich gesund ernähren will. Ansonsten meditiere ich jeden Morgen. Das ist super wichtig für mich. Ab und an mache ich Yoga, und vielleicht fange ich aber wieder an zu rennen – ach, das ist Schweizerdeutsch, ich meine joggen.

Machst du eine geführte Meditation morgens?

Nein, ich meditiere 25 Minuten in absoluter Stille. Ich praktiziere Zen-Meditation. Dazu leite ich auch mittlerweile immer mal wieder Seminare mit. Meditation ist mir ein super wichtiges Standbein in meinem Leben.

 

Wie und wann hast du das für dich gefunden?

Über meinen besten Freund vor 4 Jahren etwa. Nachdem er sein erstes Seminar besucht hatte, kam er zurück und sagte: „Selina, ich würde mir wünschen, dass wir mal zusammen meditieren.“ Ich meinte okay und dann haben wir uns hingesetzt.

Er hatte damals schon die Gabe, für jemanden den Raum zu halten, also zu unterstützen in eine Tiefe zu kommen, ohne Worte, Blicke oder Gesten. Dafür musst du eigentlich total viel Übung haben.

Wir waren dann auch eine Zeit lang zusammen in einem Zen-Kloster im Allgäu – ich nur ein paar Monate, er ist länger geblieben und mittlerweile sogar Mönch. Die Meditation ist seitdem fest in meinem Leben verankert – das hat mich und alles rundherum so verändert.

Diese Auszeit im Kloster war ein Traum von mir, den ich mir letztes Jahr realisiert habe. Nun wird der nächste Traum gelebt: die Reunion mit Laura und Roy.

 

6125