Steckbrief

Judith – Wandern, Zahlenliebe & Messingwürfel

 

 

Judith, wie lebt es sich mit 3 Klavierbauern in der Familie?

Gut, ich staune immer wieder, wie sie die Nuancen im Klang hören und herausfinden, wo ein Störgeräusch herkommt, um dieses dann zu eliminieren. Aber ich halte mich aus dem Handwerklichen raus und kümmere mich lieber um interne Abläufe und das Rechnungswesen.

Obwohl man mir einen Schraubenzieher in die Hand drücken könnte – ganz zu Beginn meiner kaufmännischen Lehre wurden wir für 8 Wochen in die Lehrlingswerkstatt gesteckt. Dort haben wir Metall gebohrt, gefräst und geschmiedet. Noch heute liegt auf meinem Schreibtisch ein kleiner Messingwürfel und ein «Meisterstück», die ich selbst geschaffen habe.

Was kam vor Piano Sigrist?

Eine ganze Menge. Ich bin in der Innerschweiz, im Kanton Zug, aufgewachsen. 1965 habe ich mit 16 zunächst eine kaufmännische Lehre bei einem Grossbetrieb in Zug gemacht – genauer gesagt bei der Firma Landis+Gyr, die es heute noch gibt. Damals waren es etwa 2000 Beschäftigte. Die Firma produzierte vor allem Stromzähler für halb Europa.

Danach ging ich für ein halbes Jahr nach Bournemouth im Süden von England, um dort die englische Sprache zu vertiefen und die englische Stenografie zu erlernen. Ein Jahr später folgte die Anstellung bei einer Anwaltskanzlei in London. Das war sehr erfahrungsreich und spannend, aber ich habe gemerkt, dass das Stadtleben nicht meins ist. In der Stadt gehe ich ein wie eine Blume ohne Wasser. Ich hatte Heimweh und kehrte nach ein paar Monaten wieder in die Schweiz zurück.

Daraufhin hat es sich ergeben, dass eine US-amerikanische Firma, damals Rosemount, heute Fisher Emerson, Fuss in Europa und insbesondere in der Schweiz fassen wollte. Da habe ich mitgeholfen, die Firma aufzubauen – Rosemount hat hauptsächlich Druckmessgeräte für die Industrie und Pitot tubes für Flugzeuge hergestellt.

In dieser Zeit habe ich beschlossen, mich auf das Rechnungswesen zu spezialisieren. Während 5 Jahren habe ich parallel zu meiner Berufstätigkeit die Ausbildung zur Eidgenössisch Diplomierten Buchhalterin absolviert.

Die Zeit bei Rosemount war für mich eine sehr erfolgreiche und erfahrungsreiche Zeit. In der Funktion als Controller reiste ich nach Brüssel, Amsterdam und Monza und war auch zweimal 2 Monate am Hauptsitz der Firma in Minneapolis, USA. Das war alles in den 80er Jahren; sehr spannend.

Der leitende Ingenieur, der als CEO in der Schweiz das Geschäft aufbaute, hat mich immer gefördert und gefordert. Er sagte jeweils: ‚Sie können das, Frau Bründler‘ (mein Geburtsname). Und ich habe gesagt: Okay, ich kann das, und habe es dann gemacht. Ich bin vom Typ her ein Allrounder. «Du kannst mir ganz viel in die Hände drücken und ich setze es um.»; so habe ich funktioniert. Wir hatten Erfolg und die Firma wuchs und wuchs. Als ich ging, 10 Jahre später, da waren wir 35 Angestellte.

Die Erfahrungen halfen mir auch Piano Sigrist aufzubauen – nachdem ich zwischendurch 20 Jahre lang Beni in seiner Soloselbstständigkeit unterstützt hatte.

Wann genau trat Beni in dein Leben?

Am 19. Juni 1983 bei einer Wanderung am Zugersee. Ich wandere gerne und meine Freundin hat mich zu einer Wanderung eingeladen. Sie war eine sehr kommunikative Frau mit einem grossen Bekanntenkreis. Sie hat mich motiviert bei dieser Wanderung mitzukommen, bei denen andere Jungerwachsene dabei waren, die ich nicht kannte.

Sie sagte, dass ein Kollege eine Wanderung von Zug nach Immensee organisiert: ‚Kommst du mit?‘ Und ich habe gesagt: ‚Ja, mir gefällt die Gegend.‘ Und da war Beni mit dabei. Er ist auf mich zugekommen und fand recht schnell: Das ist meine Frau fürs Leben. Schon mit 24 Jahren hatte er eine reife Seele und so führten wir von Anfang an tiefgehende Gespräche.

Beni hat dich dann letztendlich weg vom Zugersee, ins Zürcher Oberland gebracht?

Genau, ich habe im Kanton Zug gelebt, als ich Beni kennenlernte. Seinetwegen bin ich in den Kanton Zürich gezogen; sonst wäre ich wahrscheinlich woanders hingezogen, vielleicht eher in die Westschweiz, Richtung Bern. Diese Gegend gefällt mir sehr und ich mag die Berner Mentalität und die Menschen dort.

Direkt nach der Schule mit 15 war ich ja auch ein Jahr lang in der Westschweiz, in Biel. Dort fühlte ich mich zu Hause, habe gut Französisch gelernt und die klassische Musik für mich entdeckt. Es gibt dort ein Stadttheater und ich habe mein Taschengeld zusammengespart, um regelmäßig zu Operettenaufführungen zu gehen.

Ich muss aber sagen, jetzt liebe ich das Zürcher Oberland und möchte nirgendwo anders mehr hin. Mittlerweile gefällt es mir hier sogar besser als im Zugerland, weil es mehr Weite hat.

 

Bis heute hörst du hauptsächlich Klassik – keine Podcasts?

Tatsächlich ja. Wenn ich Musik höre – ab CD – dann ist es Klassik. Am liebsten mag ich Beethoven. Für mich ist Beethoven der spannendste Komponist – und am Ende seines Lebens hat er modern komponiert. Ausserdem faszinieren mich junge Pianisten und Pianistinnen und Angela Hewitt. Ich denke, meine musikalische Seite und die Liebe zur Klassik habe ich von meinem Vater. Er hat selbst lange Jahre in einem Orchester gespielt.

Ausserdem habe ich Beni in all den Jahren, in denen er Konzertdienst in der Tonhalle in Zürich hatte, ab und an begleitet. Das machte Spass – ich musste in der Pause nicht zum Stimmen gehen und konnte einfach geniessen.

Podcasts? Nein – nicht auch noch – ich bin gerne in meinen Gedanken. Ich bin ein philosophischer Mensch und da brauche ich nicht immer berieselt zu werden. Was mich z. B. seit Jahren beschäftigt ist die Mentalkraft, die Kraft der Gedanken, und wie Menschen in positiver und negativer Energie wirken.

Auch speziell wie Menschen durch das Musikspielen in ihrer Energie strahlen. Zum Beispiel Janick Čech, der beim letzten Werkstattkonzert gespielt hat – er musiziert von der Seele her. Das hat mich tief beeindruckt und berührt, wie ein solch junger Mensch das Stück „Die Ahnung – der Tod“ von Janáček derart ausdrucksvoll interpretieren kann.


Hast du denn mal selber Klavier gespielt?

Ja, mal in meinen frühen Jahren und dann nicht mehr. Mit Beni zusammen und seiner Unterstützung habe ich vor 8 Jahren den Mut gefasst wieder anzufangen. Zwar spiele ich nicht täglich, weil so viel zu tun ist, aber ich spiele immer wieder zu meiner Freude, z.B. das erste Präludium aus dem Wohltemperierten Klavier von Bach.

Im Alter habe ich gemerkt, dass das dem ganzen Körper und dem Hirn guttut – du bist wirklich wach und präsent. Als unsere Kinder klein waren, habe ich mich mal an der Gitarre versucht, aber ich finde es noch etwas schwieriger als das Klavierspielen.

Gab es schon mal ein Duett mit dir am Klavier und Beni mit der Klarinette?

Nein, nein, ich spiele noch nicht so gut, dass er mit mir zusammenspielt. Ich habe noch nicht sein Niveau erreicht, er spielt ja sehr gut Klarinette, Sopranflöte und Altflöte.

 

Aber ihr arbeitet im Duett seit mehr als 26 Jahren zusammen?

Ja, ich habe ihm von Anfang an den Rücken freigehalten, indem ich den kaufmännischen Teil und die Buchhaltung übernommen habe. Aber nicht nur das – ich habe in all den Jahren bestimmt 17’000 Stück unserer Sigrist-Schöggeli verpackt.

Seit Beginn seiner Selbstständigkeit, seit der ersten Stimmung, haben wir ein Schöggeli in einem Schächtelchen als Stimmungspräsentli dem Kunden auf dem Instrument hinterlassen. Darauf klebte eine kleine Visitenkarte mit unserem ersten Logo – dem lachenden Klavier – das gefällt mir noch heute.

Die Idee stammt von Benis Bruder, der ein sehr begabter Grafiker ist. Dieses Pralinenschächtelchen und das Logo hatten dann so grossen Erfolg, dass sich die Kunden noch heute darauf freuen und uns sagen: ‘Das wird sich sicher nie ändern’.

 

Habt ihr mal gezählt, wie viele Pianos ihr in all den Jahren gespendet habt?

Nein, aber das geht nun auch schon 25 Jahre. Schon bei der allerersten Aktion hatten wir ganze Klavier-, Matratzen- und Notenberge sowie Kübel voller Wandfarbe, die wir nach Bulgarien transportiert haben. Nachdem Beni in eine Radiosendung eingeladen wurde, habe ich damals die ganzen Telefonanrufe, die massenhaft reinkamen, entgegengenommen. Das Echo war wirklich überwältigend.

Ich habe Beni unterstützt, wo ich konnte: Mitgeholfen, die Lkws zu beladen oder für alle Helfenden zu kochen, sodass alle verköstigt wurden. Mit Beni zusammen sowie mit seinem Mitstreiter Kamen Kenov und noch drei anderen Schweizern haben wir in 2010 all die Orte in Bulgarien abgefahren, wo die Instrumente hinkamen.

Beni und ich haben uns im Bulgarischen versucht, sodass wir irgendwie ein bisschen sprechen konnten. Immerhin konnte ich die Kyrillische-Schrift dann lesen – für den Artikel in der bulgarischen Zeitung hat es dann leider nicht ganz gereicht (Josias und Beni sind links zu sehen).

 

Hast du vor Beni schon mal ein Hilfsprojekt unterstützt?

Ich war 6 Jahre lang in der Ref. Kirchenpflege und hatte die Ressorts Ökumene und Entwicklungszusammenarbeit inne. Ein Projekt davon wird heute noch unterstützt: das Kinderheim Daia in Rumänien.

Das ist für Romakinder, die aus misslichen Verhältnissen heraus müssen, wo Alkohol, Gewalt u. Ä. im Spiel sind. Das habe ich immer eng mitverfolgt, bis heute. Vor Ort in Rumänien konnte ich es im September 2010 besuchen.

 

Hilfsprojekte, Klassik, Wandern – alles Gemeinsamkeiten von Beni und dir. Jetzt sag nicht, du hast auch eine Namensänderung hinter dir?

Nein, nein, so ein Fall bin ich nicht. Wobei ich als Jugendliche in der Jugendorganisation für Mädchen, Blauring, war. Da bekam ich den Blauringnamen ‘Spatz’. Genau wie Beni, haben sie mir diesen Rufnamen gegeben, weil ich die Jüngste damals war. 

Aber vorher schon als Kind haben mich die Kinder der Nachbarschaft und meine Cousinen plötzlich Eule genannt – keine Ahnung warum.

 

Heutzutage bist du nicht gerade mehr der Spatz im Büro Piano Sigrist?

Nein, ich bin nicht mehr ganz die Jüngste bei uns im Team. Eher die alte Eule, die Laura mehr und mehr von meinen Aufgaben überträgt. Ich arbeite noch etwa 50 % die Woche und freue mich, weiterhin vor Ort, mitten im Geschehen, zu sein.

Mittags essen wir zusammen, und wenn das Wetter schön ist, gehen wir oft auf das Dach des Bürogebäudes: Mittagessen mit prächtiger Panoramasicht.

Oder wenn es heiss ist, gehen wir zum Wasserfall, der nur 50 Schritte hinter dem Gebäude liegt. Man hat uns gesagt, das Gebäude wurde genau dort gebaut, damit damals die Wasserkraft zur Stromerzeugung genutzt werden konnte.

Jetzt nicht mehr, aber wir profitieren vom Wasserfall und dem Bach. Je nachdem, wie heiss es ist, gehen wir richtig baden oder nur bis zu den Knien hinein, um uns abzukühlen, und dann geht’s weiter.

 

Dann geht’s weiter mit Buchhaltung, Rechnungen und Zahlen?

Ja, mir macht dies Spass. Als ich damals bei Rosemount die betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge erfasste und sah, wie ein Betrieb funktioniert und wie es diesen zum Wachsen führte, entwickelte sich meine Liebe zu den Zahlen.

Stimmt es, dass 95 % aller Kunden per QR-Code auf der Rechnung zahlen?

Ja, die meisten Kunden zahlen mittels dieses QR-Codes. Die anderen Kunden zahlen bar oder per Twint. Dieser QR-Code ist wirklich eine fantastische Erfindung. Mit dem Handy fotografierst du diesen QR-Code, übermittelst ihn der Bank mittels dem von der Bank zur Verfügung gestellten E-Banking-Systems und per OK-Klick sind alle Daten bei der Bank zur Zahlung.

Wenn man überlegt, wie vor diesem einen Klick alles funktionierte – ich komme ja noch aus einer Zeit, in der man Schecks hin und hergeschickt hat oder gar Lohnsäcklein mit Geldscheinen und Münzen befüllt hat. In meiner Lehrzeit wurde alle 2 Wochen die gesamte Personalabteilung zusammengetrommelt und einen halben Tag lang sassen wir da und mussten Bargeld in die Lohntüten für die Produktionsarbeiter füllen.

2025 stehst du bereits seit 60 Jahren im Berufsleben?

Ja, ich habe die ganze technische Entwicklung hautnah miterlebt. Zum Beispiel war die Firma, bei der ich die Lehre gemacht habe, damals die Einzige in der Innerschweiz, die eine eigene EDV-Abteilung hatte. Das war eine immense Fläche mit riesengrossen Maschinen.

Dort wurden Programme noch von Hand geschrieben, in der Programmiersprache Fortran. Ich habe mich damals reinfuchsen können und sogar mein eigenes Programm geschrieben. Es war ein Kurzprogramm für Lagerbewirtschaftung, das ich dann auch selbst austesten durfte.

Dieses Progrämmli zählte die Ein- und Ausgänge von bspw. Schrauben, sodass beobachtet werden konnte, wann wieder welche nachbestellt werden müssen, damit für die Produktion immer genug Schrauben da waren. Eine solche, zwar einfache EDV-Ausbildung, hatte damals niemand unter den Lernenden in meiner Umgebung. Ich hatte das Gefühl, dass ich für die Zukunft gut ausgebildet werde.

Oder wenn du zu der Zeit telefonieren musstest, hast du dich gut vorbereitet, weil ein Telefonat in die USA damals in den 60er Jahren, 48 Franken die Minute kostete. Für ein Gespräch ins Ausland hat man das Schweizer Post- und Telegrafenamt angerufen und wurde dann verbunden. Sobald du die Person am Apparat hattest, ging es gleich los, denn jede Sekunde kostete. Es war völlig anders.

Wer braucht schon den (Un-)ruhestand, wenn nun alles so viel einfacher ist?

Ja, na ja, ich bin ja noch voll fit. Ich habe so ein Urvertrauen, dass es zu gegebener Zeit klar sein wird, wann es stimmig ist, loszulassen. Ich lasse es sich entwickeln, und es wird sich zeigen.

Worauf freust du dich im 2025?

Anfang Februar sind Beni und ich auf eine geführte Musikreise nach Salzburg eingeladen, auf der wir musikalische Örtlichkeiten und Konzerte besuchen werden.

Aber vor allem freue ich mich darauf, am aktiven Leben teilzunehmen und die Natur zu geniessen – es ist mir ein Bedürfnis, in der Natur zu sein. Ich muss hinaus in die Natur, damit es mir gut geht. Die Wiesen, der Wald, die Aussicht und die Berge sind meine Kraftquellen. 

Auch freue ich mich aufs Malen, Farbe auf die Leinwand zu bringen und ein Bild sich entwickeln zu lassen. Gerne arbeite ich mit Acrylfarben und verschiedenen Materialien, um ein Bild in verschiedenen Tiefen entstehen zu lassen.

Beni hat schon erwähnt, dass du gerne wandern und schwimmen gehst und er sich da gerne mitziehen lässt. Du bist schon immer viel gewandert?

Ja, das ist gut ausgedrückt. Ich habe das Wandern schon zu Schulzeiten begonnen. Meine Freundin Annemarie und ich sind jedes Wochenende irgendwo in die Berge gegangen, für Tageswanderungen oder Wochenwanderungen. Wir sind 1983 auch mit dem ÖV Richtung Süden gereist, durch Slowenien, Kroatien und Griechenland.

Annemarie hat mich damals auch in Minneapolis in den USA besucht. Mit dem Amtrak sind wir von Denver nach San Francisco gefahren und mit dem Mietauto weiter nach San Diego, Las Vegas, New Orleans und weiter mit dem Flugzeug nach Florida. Es war traumhaft! 

Nun gehe ich mit Beni wandern und baden – und mit Laura und den Kindern sehr oft am Freitagabend zum Schwimmkurs.

Es ist schon wieder November. Hast du eine Weihnachtstradition von deinen Eltern übernommen?

Ja, schon. Jedes Jahr kreiere ich in der Adventszeit ein Gesteck aus Naturmaterialien oder binde einen Adventskranz. Weihnachtsguetsli backen wir auch – bei mir sind es meist Mailänderli. Wenn Beni Hand anlegt, werden es Orangenschnitten und Schoggiegge – das sind aufwändige Guetsli, für die ich keine Geduld habe.

Diese werden von unseren Söhnen nachgefragt; die müssen fast jedes Jahr sein, auch wenn sie ziemlich aufwendig sind. Wenn es keine gibt, sind sie enttäuscht. Die Guetsli werden dann spätestens am 25.12. verkostet, wenn wir alle zusammenkommen. Mittlerweile sind wir mit Söhnen, Schwiegertöchtern und 4 Enkeln zusammen 10 Leute.

 

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