Ein Konzertflügel für Piano Sigrist
Bevor ich beginne, möchte ich vorausschicken, warum wir überhaupt einen neuen Konzertflügel gekauft haben.
Vor einigen Jahren hatten wir von der Firma Steingraeber einen E-272 erhalten und konnten diesen für Konzerte verwenden. Der Flügel war eine Leihgabe und wurde nun an einen anderen Kunden weitergegeben. In diesen Jahren haben aber einige unserer Stellungskunden den Steingraeber zu lieben gelernt und wir haben beschlossen, dass wir nun unseren eigenen Konzertflügel wollen, für unsere Konzertstellungen, aber auch für den Verkauf.
Nun ist dies auch für uns eine grosse Investition und schon vor Jahren haben wir beschlossen, dass wir die Instrumente von Steingraeber immer selbst auswählen – so können wir unseren Kunden auch die besten Instrumente heraussuchen.
Wie einige aus unseren Interviews schon wissen, haben wir zwei kleine Söhne und da wird das Ganze aufwendiger. Trotzdem wollten wir das gemeinsam machen, also hiess es: Linus & Simon kommen mit.
Nachdem ich mit Fanny Steingraeber einen Termin vereinbart hatte und sie uns 3 verschiedene Flügel vorbereitet haben – zwei davon standen noch in der Fabrik, weil sie wirklich ganz frisch waren – packten wir also alles ein und fuhren um 02:00 Uhr morgens los. Die Kinder wurden schlafend ins Auto gebracht, die Fenster zugehängt, damit sie noch weiterschlafen können, Josias hatte es sich nochmals am Beifahrersitz bequem gemacht um mich dann später ablösen zu können.
Die Strecke von uns zuhause bis zur Fabrik von Steingraeber in Bayreuth beträgt 496 km und dauert ca. sechs Stunden. Ich war also mit einem guten Hörbuch im Ohr und viel Koffein ausgestattet.
Die Fahrt in der Nacht hatte auch den Vorteil, dass wir gut vorankamen und wenig Verkehr hatten. Doch das war nur der Anfang: Irgendwann gegen halb sieben sind die Kinder aufgewacht und nach wenigen Minuten musste Simon sich übergeben.
Fahrerwechsel und der Versuch an der Raststation alles so gut es geht zu putzen. Anschliessend ging es weiter bis Bayreuth.
In einem kleinen lokalen Kaffee wurden erstmals alle, die sich nicht übergeben haben, gestärkt und wir fuhren zu Steingraeber.
Die Fabrik von Steingraeber steht mitten in der Altstadt von Bayreuth und ist ein atemberaubendes Gebäude, dies wird nur von der Gastfreundschaft, welche man bei der Familie Steingraeber erfährt, in den Schatten gestellt. Ab dem Moment, als Fanny Steingraeber uns die Tore zur Garage öffnete wurden wir behandelt wie Könige.
Die Firma besitzt eigene Appartements, welche für Kunden und Künstler zur Verfügung stehen, damit man sich bei seiner Auswahl mehrere Tage Zeit nehmen kann.
Da diese Wohnungen direkt über den Verkaufsräumen der Firma sind, kann man auch des Nachts durch die Räume streichen und nochmals ganz für sich die Instrumente anspielen und testen. In der uns zugewiesenen Wohnung steht eine moderne Küche, ein grosses Badezimmer und neben dem Schlafzimmer ein Wohnzimmer mit Steingraeberflügel zur Verfügung.
Und obwohl wir als Händler ja ein bisschen anderes Kundenverhältnis haben, wurden auch wir von A bis Z verwöhnt.
Nun für uns hiess es nun erstmals ankommen, Kindersitz ausbauen und Kleider wechseln – alles in die Waschmaschine.
Dann erwartete uns ein weiteres wundervolles Begrüssungsfrühstück in unseren Räumen und im Anschluss eine kleine Führung durch die Ausstellung und das Museum.
Dort entdecken die Kinder gleich die «Gralsglocke», ein Sonderinstrument für Wagners Oper «Parsifal», welches noch am selben Tag zu einem Opernhaus geliefert werden sollte – ein Glück also, dass wir sie noch spielen konnten.
Dann war es so weit: die ersten zwei Flügel wurden uns vorgestellt. Beide standen noch in den Intonationsräumen der Fabrik und waren noch auf den Holzbeinen, auf denen sie ihren Weg durch die Produktionsschritte durchrollt hatten.
Die Kinder stürzten sich sofort darauf, jeder an einem der Flügel und Linus verkündete sofort: «Der ist es.» (Schon mal vorweg: der war es auch).
Jetzt zum Wichtigsten: Worauf achten wir denn beim Kauf eines neuen Instrumentes?
Prinzipiell können wir ja vieles selbst noch anpassen oder korrigieren. Aber einige Grundsätze müssen natürlich gegeben sein.
Da wir bei Steingraeber ja von einer Marke der Weltklasse sprechen, bewegen wir uns also in unserer Kritik auf allerhöchstem Niveau.
Wir spielen das Instrument einmal normal an, sprich ein Klavierstück, das uns gut vertraut ist, damit wir uns nicht aufs Spielen konzentrieren müssen (bei Josias ist das die Mondscheinsonate von Beethoven und bei mir das Praeludium von Bach). Dabei bewerten wir: dynamische Möglichkeiten mechanisch und klanglich, Ausgewogenheit der Intonation und für mich kommt hierbei noch dieses «Gänsehautgefühl» hinzu. Der Moment in welchem ich mit der linken Hand zum ersten Mal eine Basssaite zum Mitklingen einlade und der volle, warme Klang einem einen Schauer über den Rücken laufen lässt. Vielleicht kennen Sie das?
Den hat ein Instrument oder es hat ihn nicht.
Dann werden die einzelnen Tasten der Reihe nach dynamisch angespielt: also pianissimo, piano, forte, fortissimo,… Auch hier achten wir darauf, wie das Instrument darauf reagieren kann.
Zum Schluss schauen wir die gesamte Konstruktion von oben und unten an – das ist schliesslich auch für uns etwas Spannendes.
Josias und ich bewerteten die Instrumente zuerst jeder für sich und gaben uns keine Informationen weiter. Wir wollten uns nicht beeinflussen und achten meistens auf ganz andere Dinge. Ich würde sagen, Josias wählt den Flügel für den Techniker und ich für den Künstler.
Damit jeder dies in Ruhe tun konnte, bin ich mit den Kindern und Fanny noch durch die Fabrik gewandert und haben uns einiges zeigen lassen.
Nun, wer sich noch an unsere Autofahrt erinnert, weiss vielleicht noch, dass Simon nicht gesund in den Tag gestartet war. Und bald mussten wir erkennen, dass wohl auch Linus nicht so fit war. Also wechselte ich mit Linus in unsere Wohnung, wo er bald mit Fieber einschlief.
Simon, der auf wundersame Weise fit war, erkundete währenddessen mit Josias die unteren Räume der Fabrik und durfte zusehen, wie der Rim für einen weiteren Konzertflügel gepresst wird.
Später wechselten wir uns dann ab und die drei «Jungs» konnten einen erholsamen Mittagsschlaf machen, während ich nochmal zurück zu den beiden Flügeln ging und mir Notizen zu den entsprechenden Instrumenten machte.
Das Problem war: der eine Flügel hatte diesen Wahnsinnsbass, aber der andere einen wunderschönen, klaren Diskant, der seinesgleichen sucht.
Ein bisschen nach dem Motto: man kann nicht alles haben.
Aber man darf auch nicht vergessen: niemand würde mehr in der Situation sein, in der ich mich befand. Jeder Flügel wird für sich alleine stehen und nicht mehr gnadenlos mit einem anderen Instrument verglichen werden.
Später konnten wir dann auch noch gemeinsam den dritten Flügel anspielen, welcher schon eingespielt und im Flügelausstellungsraum war.
Doch dieser hatte uns beide nicht überzeugt und schied sogleich aus.
Nach diesem sehr intensiven Tag (und der Fahrt in der Nacht), beschlossen wir, trotz Krankheit und Müdigkeit das Beste aus diesem Kurzurlaub zu machen und für eine Weile Flügel eben Flügel sein zu lassen. So erkundeten wir die herrliche kleine Altstadt und den Spielplatz im naheliegenden Park.
Nachdem die Kindern dann abends im Bett waren, konnten Josias und ich unsere Ergebnisse vergleichen. Nach längerem hin und her hatten wir uns einigen können.
Unsere Entscheidung würden wir Fanny am nächsten Tag mitteilen.
Und während ich schlafen ging, strich Josias durch die Klavierausstellung und wählte spontan ein paar wundervolle Steingraeber-Klaviere für unsere Ausstellung zuhause aus.
Am kommenden Tag ging es den Kindern zum Glück schon etwas besser, aber wir beschlossen dennoch, dass wir uns wieder aufteilen würden, damit sie nicht so lange in der Fabrik warten mussten.
Josias besprach sich einige Zeit mit einem Techniker aus der Fabrik für die Endausarbeitung und der Flügel wurde mit «verkauft» markiert.
Nach diesem grossen Schritt konnten wir uns weiter mit Steingraebers austauschen und am Ende des Tages wurde ich von Fanny und Delia Steingraeber zum Essen ausgeführt – die Pianofrauen einmal unter sich.
Am nächsten Morgen wurde alles eingepackt und abfahrbereit gemacht. Nach herzlichem Abschied der Familie Steingraeber ging es über Rothenburg ob der Tauber (ein wunderschöner Ort) nach Hause.
Ein langes und spannendes Wochenende ging zu Ende und unsere Mühen wurden durch einen wunderschönen und imposanten Steingraeber E-275 belohnt.
Vielleicht fragen Sie sich, ob wir diesen Aufwand gerechtfertigt finden? Auf jeden Fall und wir würden und werden es immer wieder so machen – drücken Sie uns nur die Daumen, dass die Kinder dann gesund bleiben.
